Glocken V

Im Beitrag vom 8. Januar 2017 wurde auch auf die Inschrift der 1942 konfiszierten 1,33 m Glocke eingegangen. Der Förderkreis dankt Herrn Günther und Herrn Richter für ihre Bemühungen. Auf der Glocke müsste in sprachlich und inhaltlich korrekter lateinischer Schreibweise gestanden haben

HANC CAMPANAM MDXXXIV DECEMBER MDCCLXV REFVDIT ET EFFORMAVIT F. A. BECKER HALENSIS

In der Übersetzung:
Diese Glocke von 1534 hat im Dezember 1765 F. A. Becker aus Halle umgegossen und gestaltet

Bei SchönermarkBeschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Delitzsch“ ist „CAMBANAM“ zu lesen, also die Schreibweise mit „B“. Er erwähnt ausdrücklich die in der halleschen Sprache oft vorkommende Verwechselung von hartem und weichem „P“ beziehungsweise „B“. Der Fehler dürfte also beim Glockengießer Friedrich August Becker gelegen haben.

Ferner ist in der ersten Jahreszahl „DXXXIV“ die beginnende Ziffer „M“ unterschlagen. Aus 1534 ist somit bei Schönermark 534 geworden. Hierbei könnte der Fehler im Manuskript von Schönermark zu suchen sein aber auch beim Glockengießer. Gleiches trifft auf das bei Schönermark nicht vorhandene zweite „E“ zu.

Eine der wenigen noch existierenden Glocken von Friedrich August Becker ist seine 1749 gegossene Glocke in der Kirchengemeinde Osmünde[1]. Sie befindet sich nach dem Einsturz des Kirchturms in einen separaten Glockenstuhl auf dem Friedhof.

Dem Thema Inschriften widmet sich das von verschiedenen Akademien der Wissenschaften getragene Projekt „Deutsche Inschriften Online„. Die Inschriften der Stadt Halle hat Franz Jäger im Band 85 der Reihe „Die Deutschen Inschriften“ im Reichert-Verlag  veröffentlicht. Teile daraus sind online verfügbar einschließlich 354 Abbildungen. Auch wenn einer der Schwerpunkte der Stadtgottesacker ist (als eine der bedeutendsten Camposanto-Anlagen nördlich der Alpen), so sind auch diverse Glocken beschrieben, z.B. aus der Marktkirche. Ausgelassene oder unsichere Schriftzeichen sind also durchaus nicht unüblich.

Einen unmittelbaren Bezug zu unserer Glocke haben die Ausführungen von Jäger zu Verlusten

Die Verluste entstanden weniger durch die erzwungenen Glockenablieferungen während der Weltkriege als durch Umgießen vom 17. bis zum frühen 20. Jh.[2]

Der Glockengießer Friedrich August Becker wird übrigens nicht namentlich erwähnt.

 

Offene Fragen

Im Nachklang zu dem sehr interessanten Heimatabend  tauchte die Frage nach dem Zeitpunkt und der Ursache für die mit Ziegelsteinen ausgebesserte Stelle über dem Portal auf.

In der Bildmontage links sind von oben nach unten ein aktuelles Farbfoto, zwei Schwarzweißpostkarten und die Skizze von Schönermark zusammengetragen. Zu den Postkarten siehe Blogbeitrag und Foto unten. Bildmontage in Originalgröße.

Die Skizze kann man wahrscheinlich dahin gehend interpretieren, dass im äußeren linken Bogenbereich ganz bewusst die Fehlstelle durch geschwungene Linien ersetzt wurde. Vielleicht soll auch eine Putzdarstellung angedeutet werden.

Warum an der Stelle mit Ziegelsteinen ausgebessert wurde ist nach wie vor unklar. Der Zusammenhang mit dem Orgeleinbau bleibt eine Vermutung.


Für die Überlassung des Fotos von 1967 dankt der Förderkreis Herrn Dörheit.

Glocken IV – Naundorf

Im Turm der Kirche St. Peter und Paul und St. Ursula in Naundorf befindet sich ein Glockenstuhl zur Aufnahme von drei Glocken.

Zurzeit sind zwei Glocken vorhanden:

–  Glocke mit 0,60 m Durchmesser

–  Glocke mit 0,49 m Durchmesser

Beide Glocken konnten viele Jahre nicht geläutet werden. Der Förderkreis Portal unter der Leitung des 1. Sprechers, Herr Voß, veranlasste eine Besichtigung der Glocken durch einen Sachverständigen. Dieser schätzte ein, dass mit überschaubaren Mitteln das Geläut der größeren Glocke wieder hergestellt werden könnte. Als Zielstellung dafür wurde angestrebt, dies bis zur Christvesper (mit Krippenspiel) am Heiligabend 2016 zu erreichen. Dies gelang dank der Handwerker der Firma Christian Beck, Glocken und Turmuhren, aus Kölleda.

Die Glocke mit 0,49 m Durchmesser befindet sich an einem Glockenjoch, das offenbar ursprünglich eine andere Glocke trug. Das Geläut dieser Glocke wieder herzustellen bedarf umfangreicherer Arbeiten. Darüber ist zu einem späteren Zeitpunkt zu befinden.

Zur Belegung des Glockenstuhls und zum „Schicksal“ der Glocken konnte Folgendes ermittelt werden:

Gemäß der „Beschreibenden Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Delitzsch[1] von Gustav Schönermark aus dem Jahre 1892 befanden sich zu diesem Zeitpunkt folgende Glocken im Turm der Naundorfer Kirche (wörtlich zitiert):


Die Glocke mit 0,92 m Durchmesser hat eine gefällige Form; ihren Hals umziehen vier Schnüre ohne Inschrift. Sie gehört muthmasslich in den Anfang des 13. Jahrhunderts, wird also mit dem Kirchenbaue gleichzeitig sein. Eine zweite Glocke misst 0,60 m im Durchmesser und hat oben vier Riemen, aber keine Inschrift; auch sie wird in dieselbe Zeit gehören.

Die dritte Glocke mit einem Durchmesser von 1,33 m hat diese Inschriften:

SO OFFT ICH WERDE KLINGEN, SO OFFT KOMM MAN ZV SINGEN ZV BETEN UND ZV HOEREN WAS GOTTES WORT WIRD LEHREN, WER GLAVBT VND FOLGT DEM WORT WIRD SEELIG HIER VND DORT.

Ein Teil der übrigen Inschrift weist auf den vermutlichen Glockengießer hin:

HANC CAMBANAM[2] DXXXIV DECEMBR MDCCCLXV REFVDIT ET EFFORMAVIT F. A. BECKER  HALENSIS[3]

Auch ein Wappen mit einer Luthermedaille als Bekrönung ist als Schmuck an der Glocke angebracht; unter diesem Wappen steht 1765, über demselben ist ein erhabener Crucifixus.

Zum Schicksal der letztgenannten Glocke konnte folgendes ermittelt werden: Sie hat den ersten Weltkrieg überstanden, den zweiten nicht mehr. Im Jahre 1942 wurde diese Glocke als  „Metallspende des deutschen Volkes“ für den „Endsieg“ über ein Fenster (Schallarkade) auf der Westseite des Turms heraustransportiert. Beim Herablassen auf den Erdboden stürzte sie ab und zersprang in mehrere Teile. Sie konnte gewissermaßen für das Einschmelzen vorbereitet abtransportiert werden.

Zum Schicksal der Glocke mit 0,92 m Durchmesser ist nur bekannt, dass sie 1942/43 nicht mehr im Glockenstuhl vorhanden war. Zu diesem Zeitpunkt befand sich nur die Glocke mit 0,60 m Durchmesser im Turm, sodass anzunehmen ist, dass sie bereits im ersten Weltkrieg ihr Ende im Schmelzofen fand und an diesem Glockenjoch die jetzt vorhandene kleinere Glocke mit 0,49 m Durchmesser befestigt wurde. Sowohl über die Herkunft als auch über den Zeitpunkt der Montage dieser kleinen Glocke konnte bisher nichts in Erfahrung gebracht werden.

Die Weihnachten 2016 wieder “in Betrieb“ genommene Glocke mit 0,60 m Durchmesser hat offenbar alle Widrigkeiten der Zeiten überstanden, obwohl auch sie schon auf einer Abrufliste[4] des zweiten Weltkriegs stand!

Die „Lebenswege“ unserer Glocken in Naundorf und Kleinkugel sollten uns Mahnung und Verpflichtung bleiben, denn auf unserer kleinen Glocke unbekannter Herkunft steht:

* Maria hilf u(n)s * Not laß aus *

Es ist anzunehmen, dass  diese Glocke um 1500 gegossen wurde[5] .

Die Informationen über das Ende der großen Glocke mit 1,33 m Durchmesser im Turm zu Naundorf sind von Herrn Heribert Wille, der Augenzeuge des Absturzes im Jahr 1942 war und unsere erhaltene Glocke von 0,60 m Durchmesser sowohl im Jahre 1943 als auch Weihnachten 2016 geläutet hat. Ferner danken wir Herrn Peter Dörheit für seine Recherchen.

Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß es in Naundorf zu unterschiedlichen Zeiten wahrscheinlich insgesamt 4 Glocken gab. Anfang des letzten Jahrhunderts waren es die Glocken mit 0,60, 0,92 und 1,33 m Durchmesser. Die letzten beiden Glocken fielen Einschmelzaktionen der beiden Weltkriege zum Opfer. Die 0,49 m Glocke kam später hinzu. Dies könnte im Rahmen der Rückführung von Kirchenglocken geschehen sein. Dazu müßte im Kirchlichen Archivzentrum Berlin recherchiert werden.

Anmerkung: eine korrigierte Fassung der Glockeninschrift finden Sie hier.

References
1 in drei Bibliotheken der Stadt Halle verfügbar
2 Die Verwechslung von b und p darf nicht verwundern in einer Gegend, in welcher noch heute von einem harten und weichen b bez. p gesprochen wird.
Anmerkung: diese Fußnote steht so im Original von Schönermark; das „heute“ bezieht sich also auf 1892
3 Dies Glocke 534 hat im Dezember 1865 (zurück-)gegossen und geformt F. A. Becker Halensi.
Das lateinische Wort fudere heißt übersetzt gießen, refudere zurückgießen, was so hier nicht richtig passt. Man könnte es vielleicht auch neu gießen oder erneut gießen deuten, dann wäre eine alte Glocke eingeschmolzen und daraus eine neue gegossen worden. Ganz unlogisch ist das nicht, da auf dem Lutherwappen die Zahl 1765 stand
4 laut Auskunft Heribert Wille
5 laut Auskunft Glockenbaufirma Christian Beck